Kennzeichnung von Polizeikräften

Auf Bitte des Thüringer Landtags hat das Komitee für Grundrechte und Demokratie eine Stellungnahme zur Notwendigkeit der Kennzeichnung von Polizeibeamten und -beamtinnen erarbeitet.

Stellungnahme zum Antrag der Fraktion der FDP (Drucksache 5/1079): Identifizierbarkeit von Polizeikräften im Einsatz erleichtern

Das Komitee für Grundrechte und Demokratie beobachtet seit nun fast 30 Jahren immer wieder konfliktreiche Demonstrationen und berichtet der Öffentlichkeit über die Erfahrungen. Mit mehreren Personen beobachten wir die Vorgänge während einer Demonstration, die Formen der Wahrnehmung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG in Verbindung mit Art. 5 GG) und den polizeilichen Umgang mit diesem bürgerlichen Protest.  Als Demonstrationsbeobachter nehmen wir dabei nicht teil an der Versammlung, sondern wollen der Öffentlichkeit ein differenziertes Bild über die Vorgänge vermitteln. Zur Demonstrationsbeobachtung gehört auch die genaue Wahrnehmung der dem Protest vorausgehenden Öffentlichkeitsarbeit von Bürgern und Bürgerinnen, wie auch der Öffentlichkeitsarbeit, der Maßnahmen und Verlautbarungen  von Polizei und Politik in diesem Kontext.

Im Verlauf dieser vielfältigen Erfahrungen sind wir immer wieder mit Situationen konfrontiert gewesen, in denen die Nicht-Identifizierbarkeit der eingesetzten Polizeibeamten und -beamtinnen dazu führte, dass Übergriffe, Handgreiflichkeiten, Gewalttaten der Polizei gegenüber Demonstrierenden nicht verfolgt werden konnten.  Nicht nur die Demonstrierenden, sondern auch die Demonstrationsbeobachter und -beobachterinnen machen durchgängig die Erfahrung, dass Polizeibeamte und -beamtinnen in solchen Großeinsätzen und in Konfliktsituationen nicht bereit sind, ihre Namen oder Dienstnummern zu nennen. Dies gilt, obwohl Polizeibeamte grundsätzlich auf Verlangen Name, Amtsbezeichnung und Dienststelle zu nennen haben. Häufig entfernen sich Polizeibeamte auch sofort vom Tatort, so dass eine Nachfrage gar nicht möglich ist.

Gerade innerhalb der geschlossenen Verbände und des Einsatzes bei Großereignissen sind die Polizeibeamten aufgrund ihrer Schutzausrüstung – ob und wann diese notwendig und hilfreich ist, wann sie im Gegenteil zur Einschüchterung der Demonstrierenden führt, ist eine andere Frage, die hier nicht weiter zu erörtern ist – individuell unkenntlich, sozusagen vermummt. Allenfalls können Demonstrierende bei Übergriffen die mit Codes gekennzeichnete Untereinheit erkennen und notieren. Selbst diese Kennzeichnung auf dem Helm wird im Einsatz oft mit schwarzen Überzügen unkenntlich gemacht. Der einzelne Beamte, der eines Übergriffs bezichtigt wird, ist damit noch nicht identifiziert.

Hinzu kommt ein weiteres, vermehrt auftretendes Problem der Unmöglichkeit der Identifizierung. Polizeibeamte treten zivil gekleidet auf und sind noch nicht einmal als Polizeibeamte kenntlich. Gelegentlich treten inzwischen auch Soldaten der Bundeswehr im Kontext von Demonstrationen auf. Für beide Gruppen gilt besonders, dass ihre Unkenntlichkeit mit einer liberalen, rechtsstaatlichen Demokratie unvereinbar ist. 

Notwendigkeit öffentlicher Kontrolle

Unsere Erfahrungen mit Demonstrationsbeobachtungen haben uns auch gelehrt, wie wichtig öffentliche Kontrolle polizeilichen Verhaltens ist. Tatsächlich sind uns immer auch viele Polizeibeamte und -beamtinnen begegnet, die im Rahmen ihres Einsatzes bemüht waren, die Grundrechte der Bürger und Bürgerinnen zu achten und zu schützen. Genauso sind uns jedoch regelmäßig solche Einheiten, wie auch einzelne eingesetzte Beamte und Beamtinnen, aufgefallen, die aggressiv und mit Gewalt gegen Demonstrierende vorgingen. Manchmal – wie es wohl am 30.9.2010 bei der polizeilichen Räumung gegen die im Schlosspark von Stuttgart demonstrierenden Bürger und Bürgerinnen der Fall war – liegt schon dem Einsatzkonzept eine maßlose und unverhältnismäßige Anwendung von Gewalt zugrunde. In anderen Situationen gelingt es Einsatzleitern, den Frust, der bei den eingesetzten Beamten etwa angesichts von lang andauernden Räumungen auftreten mag, zu bearbeiten, rabiat werdende Beamte zu ermahnen oder zeitweise aus dem Geschehen zu entfernen, so dass es nicht zu Übergriffen kommt. Immer wieder aber wenden einzelne Beamte aus dem Schutz der Gruppe heraus Gewalt gegen Bürger und Bürgerinnen an, nutzen brutale Festnahmegriffe, schlagen im Vorbeirennen mit dem Schlagstock zu, treten oder nutzen ihr Pfefferspray.

Öffentliche Aufmerksamkeit kann manchmal darauf hinwirken, dass die eingesetzten Mittel gewissenhafter gewählt werden. Sie kann dazu beitragen, dass die Einheiten sorgfältiger eingesetzt und kontrolliert werden. Die Kennzeichnung der eingesetzten Beamten und Beamtinnen mit Namen oder mit überschaubaren Buchstaben- und Ziffernfolgen würde die Möglichkeiten der öffentlichen Kontrolle ein wenig erweitern. Sie ermöglichte es, zumindest in einigen Fällen, denjenigen zu identifizieren, dem Straftaten im Amt oder unverhältnismäßiger Einsatz von Gewalt vorgeworfen werden.

Gewaltmonopol der Polizei

Im demokratischen, an Grund- und Menschenrechten gebundenen Rechtsstaat muss die darauf verpflichtete Polizei, die das Gewaltmonopol im Staat inne hat, öffentlich kontrolliert werden; sie muss extensiv kontrollierbar sein, damit sich diese Institution, die aufgrund ihrer Aufgaben und ihrer Organisation zur Entwicklung eines sich abschottenden Corpsgeistes tendiert, nicht verselbständigt.  Das Verhältnis zwischen zu Gewaltanwendung berechtigter Polizei und Bürgern und Bürgerinnen ist höchst ungleich. In der Öffentlichkeit und auch vor Gericht steht immer zunächst alle Vermutung für die Rechtmäßigkeit polizeilichen Handelns. Eine Möglichkeit der Identifizierbarkeit von Polizeibeamten schafft hier nur einen kleinen Ausgleich.

Befürchtungen, dass es im Falle der Identifizierungsmöglichkeiten von Polizeibeamten zu vermehrten und fälschlichen Anzeigen gegen Polizeibeamte und -beamtinnen kommen könnte, widersprechen unseren Erfahrungen gänzlich.  Häufig verzichten Demonstrierende auf Anzeigen selbst dann, wenn es Chancen auf eine Identifizierung des vermutlichen Täters gibt, weil sie eine Gegenanzeige wegen „falscher Verdächtigung“ (§164 StGB) oder wegen „Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte“ (§113 StGB) befürchten.  Immer wieder scheitern Klagen, weil als Konsequenz aus dem ungleichen Verhältnis zwischen Bürgern und Polizei den Aussagen der Polizei geglaubt wird. Kollegen und Kolleginnen haben dann meist zumindest nichts gesehen, fast nie belasten sie ihre Kollegen. Der Tod von Oury Jalloh im Polizeigewahrsam in Dessau und die nachfolgenden Gerichtsverfahren machen deutlich, wie schwierig es ist, das Geschehen in einer Polizeistation, in der die Handelnden bekannt sind, so nachzuvollziehen, dass daraus juristisch verantwortbar Handelnde sichtbar werden.

Unseres Erachtens wird die Kennzeichnung der Polizeibeamten und -beamtinnen also ein kleiner, aber sehr wichtiger Schritt in Richtung Transparenz sein und die öffentliche Kontrolle des Einsatzes der Polizei etwas erleichtern. Nicht zu übersehen ist jedoch, dass auch die Politik eine Verantwortung für die Art der Einsätze der Polizei hat. Werden Konflikte zwischen Politik und Bürgern nicht demokratisch-grundrechtlich bearbeitet, sondern der Polizei die Bearbeitung solcher Konflikte in die Schuhe geschoben, so besteht die Gefahr, dass sie vermehrt grundrechtswidrig gegen Bürger eingesetzt wird, wie es sich in Stuttgart gezeigt hat und wie es beim Castortransport ins Wendland erneut zu befürchten ist.

Die Kennzeichnung der Angehörigen öffentlich agierender Staatsgewalt stellt eine Minimalbedingung in einer auf Öffentlichkeit, Verantwortlichkeit und Kontrolle angelegten liberalen Demokratie dar. Sonst ist der polizeiliche Einsatz jedenfalls partiell mit dem Odium einer Geheimpolizei versehen. Ist die Polizei dagegen klar und deutlich und einfach sichtbar kenntlich, so ist zu erwarten, dass die Identifizierungsmöglichkeit selbst schon mögliche wechselweise Missverständnisse und Aggressionen – bei Bürgern einerseits, bei der Polizei andererseits – mindert.

Dr. Elke Steven