01. März 2024 © Nalan Erol
(Anti-)Rassismus / Abolitionismus / Kriminologie / Polizeigewalt / Prozessbeobachtung / Strafrecht

Tödliche Polizeigewalt vor Gericht. Kritische Prozessbeobachtung in Dortmund und Mannheim

Allein im Januar 2024 gab es in Deutschland mindestens drei Polizeieinsätze mit tödlichem Ausgang. Meist sind es Menschen in psychischen oder sozialen Ausnahmesituationen, von Ras­sismus Betroffene und Menschen im Asylsystem, die durch die Polizei ihr Leben verlieren. Die Mehrheit tödlicher Polizeieinsätze werden einer breiteren Öffentlichkeit gar nicht bekannt, geschweige denn umfassend aufgeklärt. Nur selten haben derartige Vorgänge Konsequenzen für die verantwortlichen Beamt*innen. Doch aktuell finden in Dortmund und in Mannheim sogar zwei Strafprozesse wegen töd- licher Polizeigewalt statt, die wir als Grundrechtekomitee durchgängig vor Ort beobachten.

Seit dem 19. Dezember 2023 läuft am Landgericht Dortmund ein Prozess ­gegen fünf Polizist*innen. Sie sind an­­geklagt im Zusammenhang mit dem Tod des Jugendlichen Mouhamed ­ Lamine Dramé, der am 8. August 2022 durch fünf Schüsse aus einer Maschinen­pistole getötet worden war. Nur Sekun­den vorher hatte die Polizei Pfefferspray und Taser gegen den 16-Jährigen eingesetzt. Der Jugendliche hatte im Hof einer Dortmunder Jugendhilfe­einrichtung gekauert, hielt sich ein Messer vor den Bauch und reagierte nicht auf Ansprache. Die ­Sozialarbeiter befürchteten Suizidabsicht und verständigten die Polizei.

Nach kurzer ­Lageeinschätzung entschied sich ­diese für die tödlich endende Eskalation. Zwischen dem Notruf bei der ­ Polizei und Mouhameds Tod vergingen nur 30 Minuten. Von 12 beteiligten Poli­zist­*innen stehen nun fünf vor Gericht.

Zeitgleich müssen sich Polizeibeamte in Mannheim in einem vergleichbaren Vorfall vor dem dortigen Landgericht verantworten: Zwei ­ Polizeibeamte sind für den gewaltsamen Tod des 47-­jährigen Ante P. während eines Poli­zei­einsatzes am 2. Mai 2022 angeklagt. Einer hatte Pfefferspray gegen Ante P. eingesetzt und ihn mehrfach mit der Faust gegen den Kopf ­geschlagen, als dieser schon am Boden lag, der ­andere übte zeitweise Druck auf Ante P.s Rücken aus.

Kurz nach den Schlägen gegen seinen Kopf bewegte Ante P. sich nicht mehr. Minutenlang erhielt er ­keine Hilfe. Laut rechtsmedizinischem Gutachten ist er erstickt. Kurz vor diesem tödlichen Einsatz hatte Ante P.s behandelnder Arzt am Zentrum für Seelische Gesundheit (ZI) die Polizei um Unterstützung dabei gebeten, ihn zurück ins Zentrum zu bringen. Es läge eine Eigengefährdung vor und eine stationäre Aufnahme sei notwendig. Arzt und Polizei folgten Ante P. zunächst zu dritt durch die ­Innenstadt, sie sprachen mit ihm, die Situation war entspannt.

Je näher die beiden Beamten Ante P. aber körperlich kamen, umso aufgeregter wurde er und versuchte, sie abzuschütteln. Viele Zeug*innen sagten aus, er wollte offenbar einfach in Ruhe gelassen werden. Fast nie müssen sich Polizist*innen für die tödlichen Konsequenzen ihrer Gewalteinsätze vor Gerichten verantworten. Dass Fälle von Polizeigewalt überhaupt öffentlich wahrgenommen und diskutiert werden, ist bereits eine Ausnahme. Zunächst verbreitet sich medial üblicherweise die ­Version der Polizei. Doch in Mannheim ­hatten ­unzählige Menschen gefilmt und kommentiert, was vor ihren Augen geschah.

Der Polizeiübergriff fand an einem belebten Marktplatz in der Mann­heimer Innenstadt statt, so dass viele das Geschehen mit ansehen mussten. Dass es in Dortmund und Mannheim zu Ermittlungen und Anklage kam, ist maßgeblich dem öffentlichen Druck, sowie dem Solikreis Mouhamed und der Initiative 2. Mai zu verdanken, die sich jeweils nach Bekanntwerden der gewaltsamen Todesfälle gründeten. Sie unterstützen die Hinterbliebenen und Angehörigen und fordern zusammen mit ihnen lautstark die Aufklärung der Todesumstände sowie Gerechtigkeit und Konsequenzen für die Taten ein.

In beiden Prozessen treten Angehö­ri­­­ge des Verstorbenen als Neben­kläger­ *innen auf. Mouhamed Dramés Familie lebt im Senegal. Nur die ­Beharrlichkeit des Solikreises hat es zwei seiner B­rü­der ermöglicht, für drei Monate nach Deutschland zu kommen und dem Prozess beizuwohnen.

Da es trotz zahlreicher tödlicher Poli­zei­interventionen nahezu nie zu gerichtlicher Aufarbeitung kommt, ist eine Beobachtung derartiger Prozesse dringend geboten. Aus diesem Grund sind wir als Grundrechtekomitee in Mannheim und in Dortmund vor Ort, um die Prozesse kritisch zu ­begleiten. In den nächsten Monaten werden wir ausführlichere Analysen zu den ­beiden Prozessen veröffentlichen. Die Prozesse werden von Betroffenen von Polizei­gewalt und von Initiativen bundesweit und international aufmerksam ­verfolgt.

Die stets artikulierten Forderungen nach Anerkennung, Aufklärung und Gerechtigkeit werden sich mit ­Prozess und Urteilen vermutlich kaum erfüllen.

Eine Dokumentation von Interviews und Berichten zu beiden Prozessen ist hier abrufbar und wird laufend aktualisiert: https://www.grundrechtekomitee.de/details/komitee-fuer-grundrechte-und-demokratie-ueber-prozess-um-toedlichen-polizeieinsatz-am-2mai-2022-in-mannheim

Das Urteil gegen die zwei angeklagten Polizisten in Mannheim ist am 1. März gefallen, unsere Prozessbeobachterin Michèle Winkler äußert sich dazu in einer Pressemitteilung. „Die Verteidigung hätte das Urteil auch gleich diktieren können.“ Katastrophales Urteil in Mannheim - unverhohlener Ableismus und institutionelle Nähe von Strafjustiz und Polizei: https://www.grundrechtekomitee.de/details/pressemitteilung-die-verteidigung-haette-das-urteil-auch-gleich-diktieren-koennen-katastrophales-urteil-gegen-polizisten-in-mannheim-unverhohlener-ableismus-und-institutionelle-naehe-von-strafjustiz-und-polizei