Der Umgang mit Versammlungs- und Meinungsfreiheit offenbart den Zustand bundesdeutscher Demokratie

Offener Brief an die Mitglieder des Innenausschusses des Bundestags, sich gegen jede weitere gesetzliche Einschränkung von Versammlungs- und Meinungsfreiheit einzusetzen;

Das Komitee für Grundrechte und Demokratie fordert in einem Offenen Brief die Mitglieder des Innenausschusses des Bundestags auf, sich gegen jede weitere gesetzliche Einschränkung von Versammlungs- und Meinungsfreiheit einzusetzen und begründet dies in einer Stellungnahme. Der Innenausschuss wird am 7. März 2005 Gesetzesentwürfe zur Änderung des Versammlungsgesetzes und des Strafgesetzbuches diskutieren. Das Grundrechtekomitee schreibt, „jede weitere gesetzliche Einschränkung von Versammlungs- und Meinungsfreiheit ist überflüssig, grundrechtswidrig und kontraproduktiv“.

Der Umgang mit Versammlungs- und Meinungsfreiheit offenbart den Zustand bundesdeutscher Demokratie

Das, was von der NPD, rechten Kameradschaften und ihren Anhängern gesagt wird, ist abscheulich. Damit werden andere Menschen verachtet. Es ist antidemokratisch. Diesen triefenden Vorurteilen ist laut und öffentlich zu widersprechen.

Rechten Wahn kann man jedoch nicht mit Mitteln bekämpfen, die diesen antidemokratischen Wertvorstellungen entsprechen. Jede Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit ist undemokratisch. Damit werden nicht die NPD-Anhänger bekämpft und ins Abseits gedrängt. Damit wird Menschenrechten und Demokratie der Atem genommen.

Das Demonstrationsrecht stand schon immer unter Druck

Das Recht, sich „ungehindert und ohne besondere Erlaubnis“ zu versammeln, ist eines der zentralen politischen Freiheitsrechte. Das Grundrecht aller Bürger und Bürgerinnen, sich unter freiem Himmel zu versammeln, wurde von Anfang des Grundgesetzes an unter den Vorbehalt eines einschränkenden Gesetzes gestellt. Demonstrationen stand „man“ misstrauisch gegenüber. Das 1953 verabschiedete Versammlungsgesetz folgt darum einer Perspektive, die Demonstrationen unter autoritärer, polizeilicher Sicherheit behandelt. Eine Novellierung dieses Gesetzes in Richtung auf ein liberal-demokratisches, grundrechtsgemäßes Demonstrationsverständnis, auf Ausweitung des Rechts wäre dringend angezeigt.

Versammlungen sind dauernd umstritten. Sie ärgern. Die in Demonstrationen zum Ausdruck gebrachten Interessen widersprechen häufig offizieller Politik. Von der etablierten Herrschaft abweichende Meinungen und Forderungen soll Gehör verschafft werden. Gerade Minderheiten nehmen dieses Grundrecht in Anspruch. Sie sind auf dessen Schutz angewiesen. Gestärkt wurde das Versammlungsrecht durch die Entscheidung des Bundesverfasssungsgerichts 1985, den „Brokdorf-Beschluss“. Versammlungs- und Meinungsfreiheit seien, laut Urteilsbegründung, „unentbehrliche und grundlegende Funktionselemente eines demokratischen Gemeinwesens“. Demonstrationen, so das BVerfG, stellten ein Zeichen der „Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewussten Bürgers“ dar. Mit angemessenem Nachdruck stellten sie fest: Demonstrationen, zu denen Bürger und Bürgerinnen aus eigenem Antrieb zusammen kommen, enthalten „ein Stück ursprünglich ungebändigter unmittelbarer Demokratie, das geeignet ist, den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren“.

Für die Verteidigung dieses essentiellen demokratischen Rechts setzt sich das Komitee für Grundrechte und Demokratie von Beginn an auf vielfältige Weise ein. Weil Freiheit immer auch die Freiheit der Andersdenkenden ist, treten wir vehement für das uneingeschränkte Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit aller ein.

Statt Verbote - öffentliche Auseinandersetzungen

Sechzig Jahre nach dem tiefsten Grabenbruch deutscher Geschichte und den daraus erwachsenen, nie endgültig leistbaren Aufgaben, zeigt sich lebendige Demokratie darin, dass Probleme öffentlich wahrgenommen und Auseinandersetzungen öffentlich ausgetragen werden. Hier bewährt sich, ob staatliche Institutionen, Parteien, andere Gruppierungen und einzelne ihren Anspruch, Demokratie und Menschenrechte zu praktizieren, nicht heuchlerisch vor sich hertragen. Jetzt können sie zeigen, dass sie mit Mitteln und Argumenten und mit Taten kämpfen können, die demokratisch und menschenrechtlich stimmig sind. Das „nationaldemokratische“ Milieu und die Kräfte, die es erzeugen, werden nicht durch Vertuschen und Ausgrenzen bekämpft, sondern indem man politische Beteiligung und soziale Anerkennung aller Gruppen dieser Gesellschaft stärkt.

Auch den Anhängern der NPD muss öffentlich begegnet werden. Die Freiheit, sich ungehindert und ohne besondere Erlaubnis zu versammeln, wird schon häufig genug mit dem Rückgriff auf polizeiliche und verfassungsschützerische Gewaltprognosen und mit Hilfe grundrechteverletzender polizeilicher Eingriffe genommen. Die Straße kann ein Ort der öffentlichen Auseinandersetzung sein. Die häufig zu beobachtenden Einkesselungen und Ingewahrsamnahmen derjenigen, die gegen die NPD demonstrieren, stellen den demokratischen Skandal dar, den es zu thematisieren gilt. Strafrechtliches Vorgehen gegen diejenigen, die zum Protest gegen die NPD-Anhänger aufrufen - wie in München und in Wuppertal geschehen - ist erst recht grundrechtswidrig.

Unzulässig ist es, sich hinter dem Rücken der nie gut zu machenden Opfer nationalsozialistischer Herrschaft und den wenigen zu verbergen, die überlebt haben, und den noch wenigeren, die heute noch am Leben sind. Diesen Opfern des Nationalsozialismus wird man nicht gerecht, indem man Demokratie und Meinungsfreiheit örtlich einschränkt. Materielle Konsequenzen, dort wo sie noch möglich sind, nicht aber symbolisch repressive Gesten könnten noch ein wenig mildern.

Den heutigen Opfern der braunen Schläger aber hilft man nicht, indem man Versammlungen an Gedenkstätten verbietet. Über den konkreten Schutz hinaus hilft ihnen eine Ausländer- und Asylpolitik, die nicht restriktiv und repressiv die Vorurteile noch stärkt, die NPD-Anhänger rassistisch, in der Ablehnung alles Anderen und aller Anderen totalisieren.

Die geplante Änderung des Strafgesetzbuches wäre vollends ein repressiver Faustschlag des Gesetzgebers ohne anderen als demonstrativ schädlichen Sinn. Indem pauschal und kasuistisch andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit präventiv pönalisiert würden, trüge man außerdem zur Relativierung des Holocaust bei.

Der Einzug nationalistischer, rassistischer und antisemitischer Vorurteile in die Mitte dieser Gesellschaft ist das Problem, mit dem wir uns alle nachdrücklich zu beschäftigen haben. Andere politische und soziale Chancen und Umgangsformen sind gerade auch von etablierter Politik dagegen zu setzen. Mit dem Ruf nach staatlichem Verbot und nach Einschränkung von Freiheitsrechten findet man gerade bei denen Zustimmung, die solche Vorurteile pflegen. Ja, man begünstigt sie bewusst oder unbewusst mit.

 

Für das Komitee für Grundrechte und Demokratie:

Heiner Busch, Wolf-Dieter Narr, Elke Steven

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