Fast ein halbes Jahr Untersuchungshaft in Wien nach Teilnahme an einer Demonstration

Mit großer Sorge beobachtet das Komitee für Grundrechte und Demokratie die Anklage der Staatsanwaltschaft Wien gegen Josef aus dem thüringischen Jena, der im Januar 2014 an den Protestdemonstrationen gegen den zweiten Wiener Akademikerball teilgenommen hat. Nach dem ersten Prozesstag am 6. Juni 2014 entschied der Richter, dass die Untersuchungshaft fortgesetzt werden müsse, da Josef weiterhin eine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellen würde. Die nächsten Prozesstermine sind für den 21. und 22. Juli 2014 anberaumt.

Burschenschaften unter der Federführung der FPÖ luden am 24. Januar 2014 zum Akademikerball in Wien, dem Treffen der rechten „Elite“ Europas. Mehrere Tausende Menschen protestierten gegen dieses Treffen und die von ihnen vertretene Ideologie. Wenige wurden an diesem Tag nach Zusammenstößen mit der Polizei festgenommen. Josef wird nun vorgeworfen als Rädelsführer agiert und Landfriedensbruch begangen zu haben. Die Anklage beruht auf der Aussage eines Polizeibeamten in Zivil, der ihn bei strafbaren Handlungen beobachtet haben will, der sich aber in seinen Aussagen am ersten Prozesstag selbst mehrfach in Widersprüche verwickelte. Die Anklage macht Josef letztlich für all das verantwortlich, was an dem Tag geschah, ohne ihm eine konkrete eigene Handlung nachweisen zu können. Es liegt der Verdacht nahe, dass einfach ein Schuldiger konstruiert werden soll.

Wir sind besorgt, weil ein bisher unbescholtener Bürger auf Verdacht und ohne Beweise aus seinem bisherigen Leben herausgerissen wurde und über so lange Zeit in Untersuchungshaft festgehalten wird. Wir sind auch besorgt, weil ein solches politisches, polizeiliches und justizielles Vorgehen von der Teilnahme an Protestveranstaltungen abschrecken muss. Das aber gefährdet die Demokratie in ihren Grundfesten, die auf Beteiligung der Bürger und Bürgerinnen, auf den Streit um Meinungen und die offene politische Auseinandersetzung angewiesen ist.

Unsere Befürchtungen sind genährt aus vielfältigen Erfahrungen im staatlichen Umgang mit Demonstrationen. Auch in Deutschland wird immer wieder gegen diejenigen polizeilich vorgegangen, die gegen die Versammlungen von Nationalisten, Antisemiten und Ausländerfeinden protestieren. Vielfältige Erfahrungen gibt es damit, dass Einzelne herausgegriffen werden und für alle Vorkommnisse an einem Tag verantwortlich gemacht werden sollen. Auf Unwahrheiten aufbauende und durch Manipulation konstruierte Anklagen sind leider nicht so selten.

  • Aus den Protesten gegen das geschichtsverdrehende Gedenken von Kameradschaften und NPD an die Bombardierung Dresdens wurden im Februar 2011 wenige herausgegriffen, denen umso schwerwiegendere Vorwürfe gemacht wurden. Der Prozess gegen den Stadtjugendpfarrer Lothar König, dem u. a. aufwieglerischer Landfriedensbruch vorgeworfen wurde, musste nach mehreren Verhandlungsmonaten ausgesetzt werden. U. a. hatte sich herausgestellt, dass von der Polizei Videomaterial manipuliert und im Prozess wahrheitswidrige Aussagen gemacht worden waren.
  • Nach den Auseinandersetzungen am 1. Mai 2009 in Berlin saßen die beiden Berliner Waldorfschüler Yunus K. und Rigo B sieben lange Monate in Untersuchungshaft. Die Anklage warf ihnen vor, nach der Demonstration am 1. Mai in Berlin einen Molotow-Cocktail auf Polizisten geworfen zu haben. Die Schüler bestritten die Tat, bezeugt wurde die Tat von Polizeibeamten in Zivil. Erst im Dezember hob das Moabiter Kriminalgericht den Haftbefehl auf und zog die Möglichkeiten einer Verwechslung in Betracht. Erst am 28. Januar 2010 wurden sie vom Berliner Landgericht vom Vorwurf des versuchten Mordes freigesprochen.
  • Österreicher fühlen sich angesichts des Verfahrens gegen Josef sofort an den Tierschutzprozess erinnert. Über Jahre liefen die Ermittlungen gegen 13 Tierschützer_innen, die wegen Bildung einer kriminellen Organisation angeklagt waren. Gegen die Organisation war auch eine verdeckte Ermittlerin eingesetzt worden. Nach Festnahmen und monatelangen Prozessverhandlungen wurden die Angeklagten am 2. Mai 2011 in erster Instanz in sämtlichen Anklagepunkten freigesprochen. Die letzten Freisprüche wurden im Juni 2014 rechtskräftig. Vor Gericht hatte sich gezeigt, dass die Polizei bei ihren Ermittlungen auch zu illegalen Mitteln gegriffen hatte.

Josef muss sofort aus der Untersuchungshaft entlassen werden. Es gilt die Unschuldsvermutung. Josef darf nicht pauschal haftbar gemacht werden für Straftaten, die an diesem Tag vorgefallen sind.

Das Komitee für Grundrechte und Demokratie wird diesen Prozess weiterhin genau im Auge behalten.

 

Zum weiterlesen über Josefs Situation:

http://freiheit-fuer-josef.familientagebuch.de/

 

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