Maisteine? - Berliner Justiz schlägt zurück

Zum Umgang der Berliner Justiz mit den Menschen, die anlässlich des 1. Mai 2004 in Berlin festgenommen wurden.

Der arbeitskreis kritischer juristinnen und juristen (akj-berlin), das Komitee für Grundrechte und Demokratie und die Jusos Berlin beobachten mit Sorge die in der Presse bekannt gewordenen Umstände des Umgang der Berliner Justiz mit den Menschen, die anlässlich des 1. Mai 2004 in Berlin festgenommen wurden. Die Ankündigung seitens der Polizei und Staatsanwaltschaft, dass gegen "Randalierer/innen" in diesem Jahr hart durchgegriffen werde, scheint sich auf Kosten der Justizgrundrechte zu bewahrheiten.

Bereits bei den Festnahmen ging die Polizei häufig brutal vor. In diesem Jahr wurden nahezu doppelt so viele Haftbefehle ausgesprochen wie in den Jahren zuvor (2003: 56, 2002: 41 und 2001: 38), obwohl es viel weniger Krawallszenen gab. Noch befremdlicher allerdings ist die Tatsache, dass sich nach Informationen des Ermittlungsausschuss Berlin auch fünf Wochen nach der Festnahme noch immer 36 Gefangene in Untersuchungshaft befinden, ohne dass die strafprozessualen Voraussetzungen bestehen. Der Verdacht ist begründet, dass Beschuldigte durch die Staatsanwaltschaft übergebührlich in Haft gehalten werden, um Aussagen von ihnen zu erpressen.

"Wenn sich diese Anzeichen bewahrheiten sollten und Untersuchungshaft als vorweggenommene Strafe vor einem ordentlichen Gerichtsverfahren missbraucht wird, haben wir in Berlin einen handfesten Justizskandal," kommentiert Fabian Schmitz, Vorsitzender der Jusos Berlin.

Und Prof. Wolf-Dieter Narr vom Komitee für Grundrechte und Demokratie ergänzt: "Aus dem demokratisch zentralen Grundrecht der Freiheit zu demonstrieren, wird mehr und mehr ein präventiv und auf Abschreckung bedachtes Recht der Polizei,Demonstrierende zu disziplinieren. Demonstrationen von Bürgerinnen und Bürgern werden zu Demonstrationen polizeilicher Gewalt, die politisch missbraucht wird, um exekutive Ordnungszwecke durchzusetzen. Dafür wird auch das hohe Gut bürgerlicher Rechtssicherheit preisgegeben, das für die Demonstrierenden darin besteht, genau zu wissen, wann und wie das staatliche Gewaltmonopol eingesetzt wird, das vorrangig dazu dient, die Freiheit des Demonstrierens zu gewährleisten."

Vor diesem Hintergrund veranstaltet der arbeitskreis kritischer juristinnen und juristen an der Humboldt-Universität zu Berlin am Dienstag, den 15. Juni 2004 um 19.00 Uhr im Raum 2014a der Humboldt-Universität (Unter den Linden 6) eine öffentliche Anhörung von Anwält/innen, die Betroffene in der Untersuchungshaft betreuen. Dazu wird ausdrücklich eingeladen. Dort soll Gelegenheit sein, Fälle darzustellen, Tendenzen aufzuzeigen und Konsequenzen zu diskutieren.

Die eingeladenen Anwält/innen bestätigten unsere Befürchtungen. So erklärt Rechtsanwältin Ulrike Birzer: "Ich habe den Eindruck gewonnen, der 1. Mai stelle einen eigenen Haftgrund dar."

Auch Rechtsanwalt Sönke Hilbrans vom Republikanischen Anwältinnen und Anwälteverein (RAV) kann sich des Eindrucks nicht erwehren, "dass Untersuchungshaft den Charakter eines Disziplinararrestes bekommt und das kriminalpolitische Ziel der Abschreckung auf Kosten von Beschuldigten exekutiert wird, die nach der Prozessordnung als unschuldig zu gelten haben."

Sein Kollege Sven Lindemann ergänzt: "Bei den Vorführungen vor den Haftrichter wurden die Rechte der Beschuldigten mit Füßen getreten. Die Richter waren offensichtlich voreingenommen und wollten die Vorgaben der Staatsanwaltschaft auf möglichst viele Untersuchungsgefangene erfüllen. Diese Vermutung wurde dadurch erhärtet, dass Haftbefehle mitunter bereits vor Beginn der Vorführungen unterschrieben und gestempelt waren. Mir ist kein einziger Fall bekannt, wo der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlass eines Haftbefehls von den zuständigen Richtern abgelehnt wurde."

Gemeinsam mit dem Komitee für Grundrechte und Demokratie hat der akj-berlin vor und am 1. Mai die Demonstrationen beobachtet (siehe Pressemitteilung vom 2. Mai 2004). Dabei war es bereits am Vorabend des 1. Mai zu Indentitätsüberprüfungen und Platzverweisen für DemobeobachterInnen gekommen. Obwohl mit der Einsatzleitung abgesprochen war, dass Demobeobachter/innen nicht Teil der Demo sind, und obwohl sie als Beobachter/innen durch ihre Ausweise und gelben Armbinden deutlich erkennbar waren, wurde ihre Tätigkeit in Einzelfällen als Gefährdung der polizeilichen Maßnahmen durch Platzverweise und Personalkontrollen mit bis zu einstündiger Dauer behindert. Die betroffenen Beobachter haben erfolglos Widerspruch gegen die Maßnahmen der Polizei erhoben und erwägen jetzt, Klage vor dem Verwaltungsgericht zu erheben, um die Rechtswidrigkeit der Maßnahmen feststellen zu lassen. Darüber hinaus werden die betroffenen Beobachter vorsorglich einen Antrag auf Datenauskunft beim Polizeipräsidenten stellen.

Stefanie Richter vom akj-berlin erklärt dazu: "Die polizeiliche Praxis der jüngsten Vergangenheit gibt leider Anlass zur Sorge, dass die erhobenen Daten Eingang in Dateien über angeblich gewalttätige Demonstrationsteilnehmer/innen finden könnten. Diese werden dann zur Begründung von polizeilichen Maßnahmen bei späteren Anlässen herangezogen und behindern die Betroffenen in der Ausübung ihrer grundrechtlich geschützten Demonstrationsfreiheit."

Auch darum wird es in der Anhörung am Dienstag gehen, wozu wir Sie hiermit ausdrücklich einladen.

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