Offener Brief zum Umgang der Polizei mit dem Internationalen Grenzcamp in Köln

Die Rechte einer ganzen Gruppe auf Freizügigkeit, auf Versammlungsfreiheit und auf informationelle Selbstbestimmung wurden zumindest zeitweise aufgrund vager Verdachtsmomente kollektiv völlig außer Kraft gesetzt.

Das Komitee für Grundrechte und Demokratie äußert sich in einem offenen Brief an den Polizeipräsidenten von Köln bestürzt über den grundrechtswidrigen Umgang mit dem Internationalen Grenzcamp in Köln. Das Grundrechtekomitee beklagt, dass die Rechte einer ganzen Gruppe auf Freizügigkeit, auf Versammlungsfreiheit und auf informationelle Selbstbestimmung zumindest zeitweise aufgrund vager Verdachtsmomente kollektiv völlig außer Kraft gesetzt wurden. Es fordert, die bei der erkennungsdienstlichen Behandlung der Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Camps erfassten Daten nicht in die einschlägigen bundesweiten Dateien einzugeben, sondern umgehend zu löschen.

OFFENER BRIEF

An den

Polizeipräsidenten Herr Steffenhagen

an die zuständigen Einsatzleiter

und Abschnittsleiter und -leiterinnen

 

Sehr geehrter Herr Steffenhagen,

sehr geehrte Damen und Herren,

mit Bestürzung hören wir von dem polizeilichen Vorgehen gegen das 6. Internationale Grenzcamp in Köln am 9. August 2003. Seit Jahren ist es das Verdienst einiger Flüchtlingsorganisationen und antirassistischer Gruppen, Sommercamps zu veranstalten, die einerseits die Kommunikation von Flüchtlingen und Aktiven in der Flüchtlingshilfe und in der antirassistischen Arbeit ermöglichen. Andererseits geht von diesen Camps eine dringend notwendige deutliche Kritik an den Zuständen in dieser Gesellschaft aus. Deutsche wie europäische Politik der Abwehr von Flüchtlingen, rassistische Kontrollen und Ausgrenzungen werden thematisiert wie auch die privaten Profite, die mit dieser Politik eng verbunden sind. Die Bereitschaft vorwiegend junger Menschen, die tagtäglichen Menschenrechtsverletzungen, die in diesem Land passieren, zu thematisieren und auch mit drastischen Mitteln und Aktionen Zivilen Ungehorsams auf diese Missstände aufmerksam zu machen, ist eine Bereicherung für eine Gesellschaft, die sich als demokratische versteht.

Die Bereitstellung eines Camportes durch die Stadt Köln und Vorabsprachen auch mit der Polizei Köln ließen hoffen, dass das Anliegen der Grenzcamper und -camperinnen in Köln wenn nicht mit Freude aufgenommen so doch geduldet würde. Leider hat die Stadt und hat die Polizei der Stadt Köln die Möglichkeit, einen entsprechenden Umgang mit den berechtigten Anliegen des Grenzcamps zu etablieren, vertan. Soweit uns berichtet wurde, hat sich die Situation zwischen der Polizei vor Ort und den Bewohnern und Bewohnerinnen des Camps seit Freitag zugespitzt. Aufgrund unserer vielfältigen Erfahrungen bei Demonstrationsbeobachtungen wissen wir sehr genau um dieser unnötigen Eskalationen.

Herausgreifen möchten wir jedoch einige polizeiliche Maßnahmen,die deutlich machen, in welchem Maße Grundrechte der Campenden außer Kraft gesetzt wurden. Getreu den gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen im Bereich der Inneren Sicherheit sind die Rechte einer ganzen Gruppe auf Freizügigkeit, auf Versammlungsfreiheit, auf informationelle Selbstbestimmung zumindest zeitweise aufgrund vager Verdachtsmomente kollektiv völlig außer Kraft gesetzt worden.

Dies beginnt bereits bei der fast alltäglichen Videoüberwachung aller Teilnehmenden während der Camptage, die dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung widerspricht. Nicht umsonst stellte das Bundesverfassungsgericht in seinem Volkszählungsbeschluss das Recht auf informationelle Selbstbestimmung direkt in den Kontext des Rechts auf freie Meinung und auf das Recht zur politischen Betätigung ohne Angst vor Nachteilen.

Diese Grundrechtsverletzungen setzten sich fort, als am Samstag, den 9. August 2003 - so unsere Informationen - nur diejenigen aus dem Camp an einer Demonstration gegen die Neonazis teilnehmen durften, die vorher der Polizei ihre Personalien angaben und sich video/fotografieren ließen. Das Versammlungsrecht ist jedoch das Recht der Bürger und Bürgerinnen, sich ungehindert und frei zu versammeln. Vage Verdachtsmomente, einzelne Straftaten, die möglicherweise aus einer Menge von fast tausend Personen geschehen sind - wenn dies der Fall ist -, rechtfertigen es nicht, dieses Grundrecht außer Kraft zu setzen. Des weiteren ist die Datenerfassung aller Personen, die sich Samstag abend noch auf dem Camp aufhielten, völlig unverhältnismäßig. Es ist grundrechtlich nicht haltbar, dass von Hunderten von Bürgern und Bürgerinnen die Daten erfasst und gespeichert werden, weil der Verdacht besteht, dass auf diese Weise ein Straftäter erfasst werden könnte.

Wir fordern, die erfassten Daten nicht in die einschlägigen bundesweiten Dateien einzugeben, sondern umgehend zu löschen. Des weiteren ersuchen wir um eine Stellungnahme zu diesen Vorgängen.

Mit freundlichen Grüßen

(Elke Steven)

 

PS: Angesichts der öffentlichen Debatte um die Ereignisse am Samstag, den 9. August 2003 verstehen wir unseren Brief an Sie als einen öffentlichen.

Sagen Sie es weiter!