Protest gegen den Europäischen Polizeikongress

Der Europäische Polizeikongress ist eine private Veranstaltung, die so tut als finde sie im öffentlichen Interesse statt. Veranstaltet wird sie vom «Behörden-Spiegel», einer monatlichen privaten Zeitung, die sich als «Leitmedium für den öffentlichen Dienst» versteht. Die Zeitung, die in der Tat im öffentlichen Dienst große Verbreitung hat, glänzt insbesondere durch Informationen und Beilagen für das Beschaffungswesen. Sie bildet damit ein Verbindungsglied für die Industrie – insbesondere für die informationstechnische und die Sicherheitsindustrie.

Das Komitee für Grundrechte und Demokratie ruft zur Demonstration gegen den 11. Europäischen Polizeikongress am 29. Januar 2008 in Berlin auf!

Was ist der «Europäische Polizeikongress»?

Der Europäische Polizeikongress ist eine private Veranstaltung, die so tut als finde sie im öffentlichen Interesse statt. Veranstaltet wird sie vom «Behörden-Spiegel», einer monatlichen privaten Zeitung, die sich als «Leitmedium für den öffentlichen Dienst» versteht. Die Zeitung, die in der Tat im öffentlichen Dienst große Verbreitung hat, glänzt insbesondere durch Informationen und Beilagen für das Beschaffungswesen. Sie bildet damit ein Verbindungsglied für die Industrie – insbesondere für die informationstechnische und die Sicherheitsindustrie.

Neben dem Polizeikongress führt der Behörden-Spiegel auch die jährliche Berliner Sicherheitskonferenz und einen ebenfalls jährlichen Kongress zum Katastrophenschutz durch. Der Europäische Polizeikongress ist zum einen eine Gelegenheit für die Industrie, ihre Produkte bei den anwesenden Repräsentanten der Innenpolitik und der Polizei unterzubringen. Der Kreis der Aussteller und Sponsoren dieser Messe reichen von EADS über SAP, Siemens und IBM bis zu Giesecke & Devrient und zur Bundesdruckerei. Diese Firmen gehören schon heute zu den Lieferanten des Sicherheitssektors. Sie sind mitverantwortlich für den neuen technologischen Schub, den der Sektor der Inneren Sicherheit in den vergangenen Jahren erlebt hat: von der Videoüberwachung über die Biometrie und die Gesichtserkennung bis hin zum Digitalfunk und zu Methoden der elektronischen Datenauswertung und des Data Mining. Auch an den diversen «Panels» dieses Kongresses sind nicht etwa nur PolitikerInnen und Polizisten, sondern durchgängig auch VertreterInnen der Industrie beteiligt. Der Europäische Polizeikongress ist damit Ausdruck des sich entwickelnden polizeilich-industriellen Komplexes.

Der Europäische Polizeikongress ist zum andern eine politische Veranstaltung, an der Regierungen und Polizeien ihre Vorstellungen über das polizeiliche Europa zum Besten geben, ohne dass ihnen die davon Betroffenen ins Wort fallen. Der Kongress will eine «internationale Plattform für die Führungsebene der europäischen Polizeien», ein «Treffpunkt politischer und polizeilicher Entscheidungsträger» sein, an dem «Innenminister, Justizminister, Europaabgeordnete, Staatssekretäre, Behördenleiter, Polizei- und Grenzschutzbehörden aus über 60 Nationen» teilnehmen. Für das «Fachpublikum» aus «Behörden, Polizei, Militär und Botschaften» ist die Teilnahme kostenlos. Alle anderen müssten 1185 Euro plus zusätzliche Gebühren berappen, um sich in die Diskussion darüber einmischen zu können, wie die Polizei in der EU und in den Mitgliedstaaten ausgestaltet sein soll, welche Befugnisse und welche technischen Möglichkeiten sie haben soll, wie die Zuständigkeiten in dieser «europäischen Sicherheitsarchitektur» verteilt werden sollen etc. Die Veranstalter des Kongresses versprechen sich darüber hinaus ein großes Medieninteresse – anders ausgedrückt: Sie erwarten, dass die Medien einmal mehr als Lautsprecher für ihre Forderungen nach noch mehr Kontrolle und Überwachung und nach noch dichteren Grenzen fungieren.

Warum braucht es die Einmischung der Bürgerinnen und Bürger?

Schon ein kurzer Blick auf die Traktandenliste der Innen- und Justizpolitik der EU belegt, dass es hier längst nicht mehr um einen Nebenschauplatz geht. Wesentliche Fragen der polizeilichen Entwicklung werden auf europäischer Ebene entschieden und müssen in den Mitgliedstaaten umgesetzt werden:

- Abschottung der Grenzen – tödlich für Flüchtlinge und ImmigrantInnen: Die restrikti-ve Asyl- und Migrationspolitik bildet seit Beginn der 90er Jahre, seit dem Schengener Übereinkommen von 1990, den Kern der EU-Innenpolitik. Die strikte Überwachung der Außengrenzen ist die polizeiliche Seite der Asyl- und Einwanderungsverhinde-rung. Sie ist der Grund dafür, dass jährlich Hunderte von Menschen ihr Leben bei dem Versuch verlieren, in der EU Schutz oder eine würdige Lebensperspektive zu finden. 2005 hat die EU-Grenzschutzagentur in Warschau ihren Betrieb aufgenommen, die seitdem diverse «Projekte» zum besseren Schutz dieser Grenzen durchführt. Im Sommer 2007 hat die EU zusätzlich die Aufstellung schneller Eingreifteams beschlossen, die sich aus den nationalen Grenzpolizeien rekrutieren und bei ihrem Einsatz auch exekutive Befugnisse wahrnehmen sollen. Demnächst dürften dann auch deutsche BundespolizistInnen im Mittelmeer oder vor den Kanarischen Inseln patrouillieren.

- Informationssysteme – die elektronische Seite der Festung Europa: Das Schengener Informationssystem wurde bei seinem Aufbau in den 90er Jahren als «Fahndungssystem» angepriesen. Tatsächlich machten seit der Inbetriebnahme 1995 Daten von mit Haftbefehl gesuchten Leuten nur einen kleinen Bruchteil (zwischen einem und zwei Prozent) der gespeicherten Personen aus. Der Anteil der Personen, die an den Grenzen zurückgewiesen werden sollten, lag dagegen kontinuierlich über 80 Prozent. Im kommenden Jahr soll das SIS 2, das Schengener Informationssystem der zweiten Generation, ans Netz gehen. Es wird auch digitalisierte Fingerabdrücke und Fotos, biometrische Daten also, enthalten. Dasselbe gilt für das auf derselben technischen Plattform betriebene Visa-Informationssystem, das spätestens nach fünf Jahren Daten über 100 Millionen Personen enthalten wird. Darin erfasst werden alle Personen, die ein Visum für die EU beantragen – unabhängig davon, ob sie es auch erhalten. Bereits seit 2003 in Betrieb ist Eurodac, das System, in dem die Fingerabdrücke aller Personen gespei-chert werden, die in der EU um Asyl ersuchen. Das EU-Polizeiamt Europol verfügt nicht nur über eine große Indexdatei sondern vor allem über «Arbeitsdateien zu Ana-lysezwecken». In diesen Dateien können Verurteilte, Verdächtige und potenziell Verdächtige, ZeugInnen und potenzielle ZeugInnen sowie Hinweisgeber, Kontakt- und andere Personen gespeichert werden – anders ausgedrückt: alle Personen, die Europol für das jeweilige Analyseprojekt für interessant hält.

- Freier Datenmarkt – das Prinzip der Verfügbarkeit: Auf diesen Grundsatz einigte sich der EU-Ministerrat Ende 2004 im Haager Programm, dem Fünfjahresplan der EU für die Innen- und Justizpolitik. Danach sollen sich die Polizeien der Mitgliedstaaten gegenseitig Zugang zu allen Daten eröffnen, die in ihren Informationssystemen zur Ver-fügung stehen. Den rechtlichen Einstieg in diesen einheitlichen Binnenmarkt für Polizeidaten nimmt die EU mit DNA-Profilen und Fingerabdrücken. So sieht es der Ver-trag von Prüm vor, den im Juli 2005 zunächst sieben Mitgliedstaaten unterzeichneten und der derzeit in EU-Recht überführt wird.

- DemonstrantInnen und Fußballfans als europäisches Feinbild? Nicht erst die Fußball-WM 2006 und der Protest gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm haben gezeigt, dass solche Großanlässe der EU grundsätzlich als Gefahr gelten. Sie sind der Anlass dafür, die Kontrollen an den Binnengrenzen wieder einzuführen, die seit dem Schengener Abkommen angeblich aufgehoben sind. Für den Umgang mit Demos und Sportanläs-sen hat die EU Handbücher und Leitfäden aufgestellt. Darin vorgesehen ist nicht nur der Austausch von Verbindungsbeamten und «Szenekennern», sondern auch der Aus-tausch von Personendaten. Um als gefährlich eingestuft und der Polizei des jeweiligen Gastlandes gemeldet zu werden, muss die betreffende Person nicht wegen einer Straftat verurteilt sein. Es reicht, zufällig in eine Personenkontrolle zu geraten und danach in der jeweiligen nationalen Polizeidatei zu landen.

- Vorratsdatenspeicherung – oder: wenn alle Daten zu Polizeidaten werden: Der Bundestag hat kürzlich ein Gesetz beschlossen, mit dem er die Richtlinie der EU zur so genannten Vorratsdatenspeicherung umsetzte. Die Telekommunikationsfirmen müssen danach Verbindungsdaten, die beim Telefonieren oder beim E-Mail-Verkehr notwen-digerweise anfallen, ein halbes Jahr speichern – für den Zugriff von Polizeibehörden und Geheimdiensten. Im November letzten Jahres hat die EU-Kommission den Entwurf eines Rahmenbeschlusses vorgelegt, wonach Fluggesellschaften verpflichtet werden, ihre Passagierdaten an neu zu schaffende Zentralstellen der Polizeien zu melden. Dort sollen sie dreizehn Jahre gespeichert werden – zum Zwecke der «Bekämpfung» von Terrorismus und organisierter Kriminalität. Das sind nur zwei Beispiele da-für, wie Daten, die für völlig andere Zwecke bestimmt werden, zu Polizeidaten wer-den.

- Terrorismusbekämpfung – gegen eine nochmalige Erweiterung des §129 a und b des Strafgesetzbuchs: Im Jahre 2002 beschloss der EU-Ministerrat seine gemeinsame Terrorismusdefinition und machte damit Strafbestimmungen über «terroristische Vereini-gungen» für alle Mitgliedstaaten verbindlich. Die Erfahrung mit den deutschen Para-grafen 129a und b zeigen, dass die Zahl der Verurteilungen zwar sehr niedrig bleibt, aber eine Ausforschung ganzer Bevölkerungsgruppen und vielfältige Zwangsmaßnahmen möglich werden – eine Bestrafung ohne Urteil. Jetzt will die EU-Kommission den Rahmenbeschluss von 2002 erweitern um ein Delikt der «öffentlichen Aufforderung zu terroristischen Straftaten». Für die Strafbarkeit soll dabei irrelevant sein, ob «terroristische Straftaten unmittelbar befürwortet werden.» Wenn der Ministerrat diesem Entwurf folgt – und daran gibt es kaum Zweifel –, werden einmal mehr Meinungen kriminalisiert.

- Europäischer Staat – neoliberal und autoritär: Das Staatsgebilde EU stützt sich nicht nur auf einen ungebremsten Binnenmarkt. Der Lissabonner Vertrag, den die EU-Regierungsspitzen im vergangenen Jahr unterzeichnet haben, sieht wie der am franzö-sischen und niederländischen Referendum gescheiterte Verfassungsvertrag eine mili-tarisierte Außenpolitik und einen konsequenten Ausbau der inneren «Sicherheitsarchi-tektur» vor. Dass das Europäische Parlament nun ein paar Mitbestimmungsrechte mehr erhält, ändert nichts an dem grundsätzlich neoliberalen und autoritären Charakter dieses Staatsgebildes.

Der Europäische Polizeikongress ist keine bloße private Veranstaltung und findet auch nicht im öffentlichen Interesse statt. Er ist eine Demonstration der Macht. Er ist eine Werbeveranstaltung für die zunehmende Einschränkung der Grund- und Menschenrechte aller BürgerInnen. Deshalb rufen wir zum Protest gegen den Europäischen Polizeikongress und zugleich gegen die schon lange ausufernde Entwicklung der Überwachung und Datensammlung auf.

 

gez. Heiner Busch

(Geschäftsführender Vorstand)

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